Biodiversität in Buchenwäldern
Dr. Patricia Balcar / Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz, Abteilung Naturwaldreservate
Im internationalen Jahr der Biodiversität stehen Buchenwälder und ihre Biodiversität in Deutschland, das mitten im Verbreitungsgebiet der subatlantischen Rotbuchenwälder liegt und damit eine besondere Verantwortung für sie hat, im Fokus. Ursprünglich waren 90% der Landfläche Buchenwälder. Sie sind zugunsten von Landwirtschaft und Siedlungen auf ein Drittel geschrumpft. In den heutigen Wäldern hat die Buche nur noch 14% Anteil und ist in ihrer Zusammensetzung, in ihrem Altersaufbau, in ihren Strukturen und natürlich auch in ihrer Artendiversität durch Bewirtschaftung stark überprägt.
Die Rotbuche
Die Rotbuche ist in weiten Teilen Mitteleuropas die mit großem Abstand
wichtigste Baumart der natürlichen Waldgesellschaften. Sie
besitzt eine hohe ökologische Amplitude und ist gegenüber anderen
Baumarten besonders konkurrenzstark. Nach dem
gegenwärtigen Kenntnisstand bleibt die Rotbuche auch bei Berücksichtigung der
prognostizierten Klimaänderung in unserer Region die wichtigste Laubbaumart.
Wie steht es mit der Biodiversität in Buchenwäldern?
Da wir in Mitteleuropa keine Urwälder mehr haben, orientieren wir uns, was natürliche Biodiversität anbelangt, an osteuropäischen Buchenurwäldern, an ihrer Zusammensetzung, an ihrem Alter und an der Zahl ihrer Urwaldreliktarten, wohl wissend, dass sie nicht einfach übertragbar sind. Andererseits orientieren wir uns an Forschungsergebnissen aus nicht mehr bewirtschafteten mitteleuropäischen Wäldern, also an Naturwaldreservaten, wohl wissend, dass sie noch von früheren Nutzungen unterschiedlich stark geprägt sind. Wie man auch die Frage nach der natürlichen Artenvielfalt von Wäldern beantwortet, wir müssen davon ausgehen, dass sie zumindest zu 25 % von Totholzlebensgemeinschaften bestimmt wäre.
Die Artenvielfalt, die uns im Wesentlichen heute bei uns begegnet, ist eine historisch entstandene Vielfalt, die um etwa 1850 in der vom Menschen klein strukturierten Landschaft Mitteleuropas ihren Höhepunkt hatte und die heute noch als Bemessungsgrundlage z.B. für die Einordnung in die Rote Liste dient.
Welche Arten sind typisch für den Wald?
Die Frage, welche Arten für den Wald typisch sind, verfolgt z.B. eine Schweizer Untersuchung. Sie ergab, dass nur 6% der Arten im Waldinneren häufiger waren als am Waldrand oder im Kronenraum und zwar, weil die meisten Arten schlichtweg Licht und Wärme zum Überleben brauchen. Die heute gängige Definition lautet: waldtypische Arten sind solche, die zumindest mit einer Lebensphase an Wald angewiesen sind. In der Schweiz ist es demnach etwa die Hälfte der 41.000 im Wald lebenden Arten.
Bei der Beurteilung der Biodiversität sollten wir uns klarmachen, dass es verschiedene Einflussgrößen darauf mit unterschiedlicher Auswirkung gibt: dass mit zunehmender Intensität der forstlichen Nutzung die natürliche Biodiversitätsinkt, die absolute Biodiversität aber zunächst zunimmt, weil in die lichter werdenden Wälder auch andere Arten einwandern.
Die Zahl der Arten
In Deutschland sind 24.000 Pflanzen- und Pilzarten bekannt, davon 4.000 Gefäßpflanzenarten und 48.000 Tierarten, davon sind 33.000 alleine Insekten und nur etwa 314 Vogelarten. In Buchenwäldern leben 18% aller Pflanzen- und Pilzarten und 14% aller Tierarten. Nicht alle sind Buchenwaldspezialisten, als solche gelten nur 1.169 Pflanzen- und Pilzarten und 1.792 Tierarten. Mit diesem Artenpool haben wir es zu tun. Diese Vielfalt wird von verschiedenen Faktoren, nämlich Standort, Baumart, Strukturen, Alter, Kontinuität, Totholz und Licht beeinflusst.
Buchenforste kommen in ihrer Artenzusammensetzung ursprünglichen Wäldern sehr nahe.
In erster Linie spiegelt die Vielfalt der (wenig veränderbaren) Standorte die Vielfalt von (Buchen)Waldtypen wider. Buchenforste kommen daher in ihrer Artenzusammensetzung ursprünglichen Wäldern sehr nahe. In Deutschland sind vor allem zwei Buchenwald-Lebensraumtypen von Bedeutung: auf Standorten mit sehr geringem Basenangebot der Hainsimsen-Buchenwald und auf Standorten mit mäßig geringem Basenangebot der Waldmeister-Buchenwald. Die beiden unterscheiden sich vor allem bezüglich der Artenzusammensetzung und der Deckung an Bodenvegetation, wobei der bodensauere deutlich artenärmer ist und der Boden deutlich spärlicher bedeckt ist.
Hainsimsen- Buchenwald
Der landschaftsbeherrschende Buchenwaldtyp in Rheinland-Pfalz ist der Hainsimsen-Buchenwald.
Hainsimsen- Buchenwälder sind von Buchen geprägte Laubwälder auf bodensauren Standorten auf Ausgangsgesteinen wie Granit, Gneis, Porphyr, Quarzit und Buntsandstein.
Hainsimsen-Buchenwälder kommen von der Ebene bis in die Bergstufe der Mittelgebirge und der Alpen vor.
Die enorme Schattenwirkung der hauptsächlich altersgleichen Hallenbestände verhindert das Aufkommen zahlreicher Kraut- und Straucharten.
Waldmeister-Buchenwald
Der Waldmeister-Buchenwald findet sich in bergigen Lagen auf mäßig feuchten Böden mittlerer Basenversorgung. Er zählt zu den wüchsigsten Buchenwäldern in Mitteleuropa mit großer Artenvielfalt. Durch landwirtschaftliche Nutzung und Siedlungen sind die potentiellen Standorte des Waldmeister-Buchenwaldes sehr selten geworden. Mit abnehmender Basenversorgung geht der Waldmeister-Buchenwald in den artenärmeren Hainsimsen-Buchenwald über.
Je älter, desto besser
Das Alter ist ein wichtiger Schlüsselfaktor für die Entwicklung von Buchenwäldern und ihrer biologischen Vielfalt. Gemeint sind verschiedene Formen des Alterns: das Alter des Bestandes bzw. des Baumes, des Waldstandortes und die Dauer der Bewirtschaftungsruhe. Buchen können Alter von maximal 400 bis 500 Jahren erreichen, 46 m hoch und 2 m dick werden. Die Alterungsprozesse gehen mit Totholzbildung und Grobborkigkeit einher, wovon viele Arten wie z.B. der Mittelspecht oder Moose abhängen. Diese Strukturen sind sehr häufig wichtiger, als die Baumart selbst, an der sie vorkommen. Das Alter des Waldstandortes spielt ebenfalls eine Rolle, da es die Vegetationsausbildung beeinflusst. Blühende Teppiche an Anemonen oder Bärlauch finden sich nur an alten Waldstandorten.
Die Dauer der Bewirtschaftungsruhe
Die Dauer der Nichtbewirtschaftung spielt eine maßgebliche Rolle dafür, wie viel an typischen Pflanzenarten, aber insbesondere wie viel an Individuen z.B. von Totholzkäfern und wie viele Urwaldreliktarten in solchen Wäldern vorkommen. Das trifft aber nicht ausschließlich nur auf unbewirtschaftete Wälder zu, denn die Kontinuität an Strukturen sprich Habitaten, also an Lebensräumen, kann durchaus auch in Wirtschaftswäldern gegeben sein. Es zeigt eine Untersuchung aus Bayern, dass Urwaldreliktarten beispielsweise auch in einem 400 Jahre alten Eichenwertholzwald, in langfristig bestehenden Hutewäldern oder in einem 275 Jahre alten bewirtschafteten Alpenfichtenwald durchaus vorkommen.
Faktor Totholz
Ein ganz wesentlicher Struktur- und Lebensraumbildner ist das Totholz, das hauptsächlich im Zuge der Alterungsprozesse entsteht und ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung der biologischen Vielfalt auch in Buchenwäldern darstellt.
Das Strukturelement Totholz tritt in den verschiedensten Formen auf, schon am noch lebenden Baum oder am toten, auch liegend, in den verschiedensten Zersetzungsgraden.
Totholz
Eine der bedeutendsten Struktur- und Lebensraumbildner ist Totholz mit seinen verschiedensten Typen (stehend, liegend oder anhängend) und Zersetzungsgraden. Von 6.500 Käferarten in Deutschland sind 1.400 an Totholz angewiesen, 1.500 Pilzarten, 30 Vogelarten, 16 Fledermausarten und 54 Wildbienenarten. Dazu zählen auch unzählige Grabwespen, Faltwespen, Schlupfwespen usw. und auch Wirbeltiere wie Haselmaus, Siebenschläfer, Wildkatze oder Baummarder. Zahlreiche Untersuchungen haben versucht Schwellenwerte für Artvorkommen herzuleiten, die sich zwischen 10 und weit über 100 m³ Tozholz je Hektar bewegen je nach dem, ob es um Insekten, Schnecken, Holzpilze oder den Weißrückenspecht geht.
Faktor Licht
Auch Licht ist ein wesentlicher Faktor für Artenvielfalt: Licht bringt Leben in den Wald.
Licht bringt Leben in den Wald
Davon profitieren vor allem Gefäßpflanzen, die unmittelbar vom Lichtangebot leben. Aber auch Totholzkäfer sind an die Besonnung ihres Lebensraumes angewiesen, da sie die Verpilzung des Holzes, eine Nahrungsquelle, und ihr Artenreichtum fördert. Lücken, ihre Größe und Dynamik sind Schlüsselfaktoren für Verjüngung, Struktur- und Totholzentstehung in Buchenwäldern, wie eine niedersächsische Untersuchung belegt.
Gefäßpflanzen
Gefäßpflanzen sind aus drei Einheiten aufgebaut: Sie haben Wurzeln, Sprossachsen und Blätter. Sie unterscheiden sich von den Moosen durch ein stabiles Röhrensystem im Inneren der Pflanze für den Wassertransport.
Es gibt die Gefäßsporenpflanzen und die Samenpflanzen. Zu den Gefäßsporenpflanzen gehören die Farne, Bärlappe und Schachtelhalme.
Zu den Samenpflanzen gehören alle Pflanzen, die wir gemeinhin als Pflanzen benennen: Bäume, Sträucher, Blumen, Gräser. Sie verbreiten sich über Samen.
Die Strukturvielfalt eines Waldes wird außerdem wesentlich durch die Häufigkeit und Größe von natürlichen und anthropogenen Störungen wie Windwurf, Feuer und Insektenkahlfraß bestimmt.
Die grundlegenden Veränderungen führen Windwürfe, Schneebrüche, Feuer oder Insektenkahlfraß herbei.
Die heutige Situation sieht allerdings so aus, dass von den genannten 28.000 Pflanzen- und 48.000 Tierarten in Deutschland ein guter Teil, nämlich 26% der Farn- und Blütenpflanzen und 40% der Tiere als gefährdet gelten.
Wie können wir dem Artenschwund begegnen?
In Deutschland gibt es rund 800 Naturwaldreservate, einige sind sehr gut auf Artenvielfalt hin untersucht. In einem nur 75 Hektar großen Reservat am Vogelsberg z.B. wurden 4.500 Tierarten gefunden. Das sind 10% aller in Deutschland vorkommenden Tierarten. Auch weitere Reservate, die 1.600 oder 2.300 Tierarten aufweisen, sind nur zwischen 50 und 75 Hektar groß. Sind also Naturwaldreservate Hot Spots für Artendiversität, also Flächen mit einer besonders hohen Dichte an Arten?
Anhand einiger Beispiele sollen die Untersuchungsergebnisse aus rheinlandpfälzischen Naturwaldreservaten dargestellt werden: Es sind 56 Naturwaldreservate mit rund 2.000 Hektar ausgewiesen, die meisten davon sind Buchenwälder, ein guter Teil ist rund 40 Jahre aus der Bewirtschaftung genommen:
Buche setzt sich unter derzeitigen Verhältnissen gegen andere Baumarten sehr gut durch. Sie profitiert am meisten von der Aufgabe der Bewirtschaftung mit wachsenden Anteilen im Hauptbestand und hoher Präsenz und Dominanz in der Naturverjüngung. Sie beweist damit ihre Potenz, den natürlichen Lebensraum (wieder)besiedeln zu können. Das belegen die meisten Zeitreihenuntersuchungen verschiedener Buchennaturwaldreservate, wobei diese Entwicklungen vor allem auf Kosten der Kiefer und der Eiche ablaufen.
Die Aufnahme der Totholzmengen, also eines der wichtigsten Waldstrukturmerkmale, erreicht in Naturwaldreservaten im Durchschnitt 50 m³ je Hektar mit einer weiten Spreite von 6 bis 350 m³. Die bewirtschafteten Vergleichsflächen enthalten demgegenüber durchschnittlich nur 23 m³ je Hektar.
In Schwerpunktreservaten und ihren bewirtschafteten Vergleichsflächen werden außerdem auch spezielle Artengruppen, so z.B. Käfer untersucht. Es zeigt sich nicht nur bezüglich aller Käferarten, sondern besonders bezüglich der an Totholz angewiesenen, dass die Naturwaldreservate stets artenreicher waren. Eine herausragende Rolle spielt diesbezüglich das Naturwaldreservat Tabener Urwald mit 1.149 verschiedenen Arten, wovon eine, nämlich der Veilchenblaue Wurzelhals-Schnellkäfer herauszugreifen wäre, die sowohl als äußerst seltene Urwaldreliktart wie als Art der FFH zweiten Anhangs gilt. Dabei ist allerdings auch anzumerken, dass wer (lange) sucht, der findet. Eine mehrjährig angelegte Untersuchung der Bienwald-Reservate hat diese Anzahl inzwischen mit 1.410 Käferarten überholt.
Auch bezüglich der Pilzarten erweisen sich Naturwaldreservate stets artenreicher als bewirtschaftete Vergleichsflächen. Bei Moosen, die besonders auf Grobborkigkeit angewiesen sind, oder bei Fledermäusen und Vögeln, die Höhlen oder andere besondere Strukturen benötigen, war dies zumindest überwiegend bzw. sehr häufig der Fall.
Kronenbrüche, Stammschäden, Mantelrisse, Insektenschäden, Pilzbefall, Moosbewuchs und Höhlen an und in Bäumen und vor allem stehendes Totholz: das sind die wichtigsten Merkmale, welche die Artenvielfalt deutlich erhöhen.
Kronenbrüche, Stammschäden, Mantelrisse, Insektenschäden, Pilzbefall, Moosbewuchs, Höhlen und vor allem auch stehendes Totholz sind die Schlüssel-Biotopbaummerkmale, welche die Artenvielfalt deutlich erhöhen. Wir können also feststellen, dass Naturwaldreservate durch ihren hohen Reichtum an Strukturen, Lebensräumen und Arten, auch Urwaldreliktarten, wichtige Refugien und Spenderflächen für umliegende Wälder sind.
Aus Kenntnis dieser Zusammenhänge werden aktuell in Wirtschaftswäldern von Rheinland-Pfalz Einzelbäume, Baumgruppen und Kleinflächen mit solchen Biotopbaummerkmalen gesucht und belassen, um die speziellen, in Wirtschaftswäldern eher seltenen Lebensräume dauerhaft zur Verfügung zu stellen und miteinander zu vernetzten.
Schlussfolgerungen für Buchenwälder
Wir können feststellen, dass die Buche am Vormarsch ist. Nach bisherigen Untersuchungen von Naturwaldreservaten hat auf fast allen Flächen nach Aufgabe der Nutzung der Buchenanteil auf Kosten anderer Baumarten zugenommen. Die Buche ist als die konkurrenzkräftigste Baumart einzuschätzen. Auch als Folge naturnahen Waldbaus (Verzicht auf Kahlschlag und Verwendung natürlicher Verjüngung) nehmen Buchenanteile, das Alter der Buchenwaldbestände und die Totholzanteile zu. Buche ist vom Klimawandel in absehbarer Zeit nicht bedroht und besitzt ausreichende Anpassungsmechanismen an Trockenheit. Sie wird allenfalls an sehr trockenen Standorten durch große Sommerdürre oder an den Grenzen ihrer Arealausbreitung – und die liegt in Rheinlad-Pfalz nicht vor – Probleme bekommen. Die Strategien, die kombiniert aus Schutzgebieten und integriertem Waldnaturschutz bestehen, sind geeignet, die Biodiversität in allen Buchenwäldern und zwar ihre typischen wie auch seltenen Elemente zu erhalten. Hervorzuheben ist dabei dennoch ganz besonders die Bedeutung der kleinen nutzungsfreien Flächen wie Naturwaldreservate. Sie sind die Hotspots für seltene Arten und für Strukturvielfalt. Sie sind Refugien und Spenderflächen für die umliegenden Wälder.