Sterben jetzt auch die Buchen?

Sterben jetzt auch die Buchen?


Die Natur in Ruhe lassen und aus ihr lernen.

Auch wenn es uns so vorkommt: die Covid-19-Krise ist kein einmaliges überraschendes Ereignis. Sie ist ein Resultat unseres Umgangs mit der Natur und eine deutliche Warnung dafür, dass die Belastungsgrenze unseres Planeten überschritten ist. Die aktuellen Ereignisse sind wahrscheinlich nur der Auftakt für ein neues Zeitalter extremer Umweltereignisse und Pandemien. Langsam, aber immer eindeutiger wird klar: Herausforderungen wie Virusmutationen, Klimawandel und Artensterben hängen enger zusammen als wir das bisher wahrgenommen haben. Die neuen Szenarien lassen keinen Zweifel: wir sind ein Teil der Natur und ohne sie gibt es keine Lösungen. Nur wenn wir die Natur als Verbündeten und Lehrmeister sehen, uns selbst weniger wichtig nehmen, können wir die aktuellen und kommenden Herausforderungen meistern. Doch das fällt uns schwer. In drängenden Notsituationen neigen wir Menschen zu hektischem Aktivismus und Überreaktionen. Sich einmal zurücklehnen, beobachten oder gar Nichtstun fällt uns dagegen schwer. Aber genau darin liegen wahrscheinlich die neuen Chancen. Die Meere müssen sich endlich wieder regenerieren können und Bäume vermehrt wachsen, anstatt ausgebeutet zu werden. Wir haben keine wirkungsvolleren Kohlenstoffsenker als Wälder und Ozeane. Warum lassen wir sie nicht in Ruhe „ihre Arbeit machen“ und das verhängnisvolle Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen?

„Die Pandemie lehrt uns vieles,
auch dies:
Wenn die Menschen gegen die Natur leben,
lebt die Natur gegen den Menschen.“
Carl Amery

Der Sommer 2020 brachte uns das befürchtete dritte Jahr in Folge Dauer-Hitze und Dürre. Seitdem haben die Schäden im Wald eine neue Dimension angenommen. Inzwischen sind es nicht mehr nur die Fichten, deren Selbstschutz nicht mehr greift, jetzt zeigen auch Laubbäume deutliche Zeichen der Überforderung. Das belegt unter anderem ganz aktuell der Waldzustandsbericht 2020 in erschütternder Weise. Demnach starben im vergangenen Jahr so viele Bäume wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1984. 138 000 Hektar Wald gingen verloren.
Die Krankheitssymptome waren im letzten Sommer für jeden Waldbesucher erkennbar.

Diese beschleunigte Entwicklung trifft den Soonwald besonders hart, denn er besteht zu gut 80% aus Laubbäumen, darunter zahlreiche ältere Buchen und Eichen. Die Rot-Buche, die „Mutter des Waldes“, ist der Charakterbaum des Soonwaldes. Unzählige eindrucksvolle Baumveteranen zählen zu seinem Bestand. Lange hatte man angenommen, Buchen könnte der Klimawandel so schnell nichts anhaben. Das war leider eine Fehleinschätzung. Die Buche schränkt ihren Wasserverbrauch bei Trockenstress tatsächlich erst spät ein; sie reagiert sozusagen „zeitversetzt“. Aber wenn es dann soweit ist, führt der Wassermangel zu einer tödlichen Vitalitätsschwäche. Eine ausgewachsene Buche braucht im Schnitt bis zu 100 Liter Wasser am Tag. Gerade in den höheren Lagen der Soonwaldkämme erreichen diese Bäume keine wasserführenden Schichten mehr. Die Flüssigkeitssäule im Baum reißt ab. Er „zieht“ Luft. Es kommt zur Embolie. Dieser Punkt war offensichtlich im letzten Spätsommer für viele Buchen erreicht – auch im Soonwald.

Viel zu früh im Jahr wurden die Blätter braun und die Bäume begannen sie ab zu werfen. Ein weiteres ernstes Krankheitszeichen sind lichte, blattarme Kronen. Sie haben nur noch wenig Äste und Verzweigungen. Auch dieses Schadensbild kann man inzwischen im Soonwald überall finden.

Normalerweise sollten die Kronen der Buchen so dicht geschlossen und belaubt sein, dass eine Taube, die dort sitzt, nicht zu sehen ist. Ist das nicht mehr der Fall, muss man das als ernsthaftes Warnsignal betrachten, so wie starke Schmerzen oder hohes Fieber beim Menschen. Mangelt es an Wasser, fehlt zuerst die Versorgung in den Spitzen. Der Baum stirbt von oben nach unten ab.

Besonders stark geschädigte Bäume verlieren ihre Rinde deshalb auch von oben nach unten. Sie schält sich großflächig ab. Schaut man genau hin, kann man manchmal unten am Stamm schwarze Flecken entdecken, eine Wundreaktion der Buche und ein Zeichen, dass sich dort bereits Pilze oder Insekten angesiedelt haben.

In diesem Stadium ist es bereits zu spät; der Baum ist irreversibel geschädigt. Er ist nicht mehr zu retten und auch die Qualität des Holzes leidet, so dass es auch für den Holzmarkt nicht mehr in Frage kommt. Die weitere schlechte Nachricht: gerade die wertvollen älteren Buchen ab einem Alter von 60 Jahren sind von dieser Entwicklung besonders stark betroffen.

Das ist deshalb schmerzhaft, da gerade diese Buchen einen unverzichtbaren Beitrag für die Biodiversität im Wald leisten. Gerade die Veteranen unter den Bäumen bieten unzähligen Tier- und Pflanzenarten Heimat, die ums Überleben kämpfen. Abgestorbene Altbäume werden daher heute im Wald belassen. Als sogenannte „Habitatbäume“ dienen sie auch noch im Verfallsstadium einer Vielzahl von Lebewesen als Unterkunft. Sie sind ein Zuhause für seltene Käferarten, Fledermäuse, Marder, Spechte, Hohltauben und den Kauz.

Der Soonwald ist (noch) sehr reich an solchen betagten Buchen- und Eichen-Veteranen. Sie waren noch nie verwöhnt mit reichlich Niederschlag und es gewöhnt, ihr Wasser aus der Tiefe des Bodens zu ziehen. Doch das gelingt inzwischen auch nicht mehr wie gewohnt. Der Schnee und die reichlichen Niederschläge zum Jahresbeginn 2021 lassen auf eine Erholung hoffen. Doch entscheidend wird das Wetter im Frühjahr sein, wenn die vorgeschädigten Bäume wieder ausschlagen müssen. Glücklicherweise sind die jungen Blattkeimlinge schon fast überall zu sehen – trotz Dürrestress.

In dieser Situation helfen keine Schnellschusslösungen. Aber wir müssen auch nicht tatenlos zusehen!

Schon ganz bald werden wir uns wieder an „unserem“ wundervollen Buchenwald erfreuen können.