Für Vernunft und gegen Maßlosigkeit
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde unserer Heimat,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich frage mich schon, warum sitze ich noch hier. Warum tue ich mir das noch an, obschon mir – gerade in den letzten Tagen – aus berufenen und durchaus wohlwollendem Munde immer wieder gesagt wurde: „Die Würfel sind gefallen.“ “ Das ist alles vergeudete Energie.“ „Ihr werdet den Soonwald nicht schützen können.“ Die Zeitung heute morgen bestätigt unsere ärgsten Ängste. Die Verbandsgemeinde Rüdesheim soll zum „Windpark Rüdesheim“ werden, eines der größten „An-Land-Windprojekte“ mit 850 Hektar, etwa 5% der Verbandsgemeinde Fläche. Was der Artikel verschweigt: die sogenannten „Potentialflächen“ liegen fast alle in den Höhenlagen des Soonwaldes und der Soonwaldvorstufe.
Wie sind wir in diese Situation gekommen?
Wir leben in einer aufwühlenden Zeit, in der viele Menschen verunsichert sind und Ängste haben. Wir wissen heute: wenn Klimasysteme sich so stark verändern, dass sie eine Schwelle überschreiten, können die Folgen unumkehrbar sein. Und das gilt übrigens für das Artensterben genauso wie für das Klimasystem. Nur anders als beim Klima spricht kaum jemand über diese ebenso konkrete Bedrohung. Dazu haben wir einen beängstigenden Krieg vor der Haustür und müssen um unsere Energieversorgung bangen.
„Und was hat das mit uns zu tun?
Wir sitzen hier in der Gemeindehalle von Meddersheim und fordern eine angemessene Lösung, maßgeschneidert für uns, unsere Region. Hier im Weindorf Meddersheim weiß man, was das heißt. Wir leben in einer sonnenreichen, regen- und eher windarmen Landschaft von großer natur- und kulturräumlicher Schönheit. Hier arbeiten erfolgreiche Winzer mit einem großen Respekt vor der Natur. Sie wirtschaften nachhaltig und verantwortungsbewusst, denn sie wissen genau, ohne die Qualität unserer Landschaft und ohne ihr spezifisches Profil ist alles nichts.
Doch was geschieht tatsächlich?
Das große Versprechen: „Windkraft“ bindet die Kräfte. Unsere Vertreter in den Verwaltungen und Gemeinderäten sind Getriebene, die sich mit immer neuen Anträgen, Verordnungen, neuen „Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungen“, Plänen und teuren Gutachten beschäftigen. Damit schränken wir unsere Sicht auf die Welt freiwillig ein. Es ist so, als hätten wir uns selbst eine Brille aufgesetzt, die nur ein Guckloch hat: Windkraft. Für andere Pläne ist faktisch keine Kapazität mehr da. Unsere Region ist voll von Agenten der Windkraftindustrie, überall sieht man ihre Autos und Vermessungstrupps.
Angst und Stress sind die ärgsten Feinde nüchternen Denkens und wahrlich keine guten Ratgeber. In großer Bedrängnis, in der wir uns ohne Frage befinden, dominiert das archaische Reaktionsmuster: „flüchten oder kämpfen“. So ziehen sich viele Bürger zurück, während sich andere und vor allem auch Politiker als Kämpfer positionieren, die „alles im Griff“ haben. Großer Druck ist der stärkste denkbare Katalysator für Fluchtversuche in einfache Lösungen und Schwarz-Weiß-Denken. Das ist der Moment für Wortführer, die Sicherheit vorsprechen, auch wenn es sie in Wahrheit nicht gibt. Doch wehe einer sagt, der Kaiser ist nackt.
Sieht so ein souveränes Krisenmanagement aus?
Wollen wir wirklich alles über Bord werfen, wofür wir uns seit Jahrzehnten mit beachtlichen Erfolgen einsetzen? Für unseren Naturpark, unseren Qualitätstourismus, unsere Gesundheitsregion und den Nahe-Wein? Unsere Regionalmarke? Dazu ein kleines Zitat aus unserer eigenen Geschichte: heute ist der 18. November 2022. Morgen, am 19. November vor 29 Jahren haben wir in Seesbach die Initiative Soonwald gegründet und uns auf eine Satzung geeinigt, in deren Präambel, Artikel 1, es heißt: „Im Europa der Regionen haben die wenigen verbliebenen Naturräume zentrale Bedeutung. Der Soonwald, eines der großen zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands, ist ein solcher Naturraum besonderer Qualität, den es unter allen Umständen zu erhalten und fördern gilt. Diesem Ziel hat sich die Initiative Soonwald verschrieben.“ Schon auf Grund dieses ersten Artikels unserer Satzung werden wir einer Zerschlagung unseres „Naturraums besonderer Qualität“ entgegentreten. Dazu schweigen ist keine Option.
Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Abstriche nötig sind, schmerzhafte Abstriche, denn eines ist klar: das Leben, was wir in den letzten Jahrzehnten gelebt haben, wird es so nicht mehr geben können. Wir zahlen jetzt schon den Preis für jahrelanges Zögern und „weiter so“, Abstriche an Konsum und vielen Annehmlichkeiten werden selbstverständlich werden. Aber sollen wir aus Angst vor dieser Entwicklung voreilig das Beste zu Markte tragen, was wir haben, uns noch einmal die Taschen voll machen damit es noch ein bisschen so weiter gehen kann? Das erinnert mich an das Märchen von Wilhelm Hauff „Das kalte Herz“. Es ist ein Waldmärchen, das nicht nur für Kinder gedacht ist. Darin erzählt Hauff die Geschichte vom teuflischen Holländer Michel, dem der arme Köhler Peter Munk sein warmes schlagendes Herz verkauft: für Geld. Es dauert nicht lange, da erkennt er seinen großen Fehler und Rettung tut not. Wir sollten unser Bestes erst gar nicht hergeben, denn im „echten Leben“ gibt es kein Zurückholen …
Wir sind mit dem Scheitern unserer vielfältigen und erfolgversprechenden Zukunftsvisionen für diese Landschaft gescheitert. Man kann nicht alles haben im Leben. Eine Windparklandschaft eine Entwicklung aus eigener Kraft und aus eigenen Stärken. Ohne einen qualitativen Neustart, sind die Weichen gestellt. Wir sind auf dem besten Wege zum Hinterhof der Metropolen zu werden. Ein Ort, wo für all gesorgt wird, was man nicht so gerne in seiner Nähe haben will. Klingt nicht gut, ist es auch nicht. Andere ländliche Regionen in Deutschland – auch deutlich weniger attraktive – zeigen, dass es auch anders geht, wie man sein Profil schärft, Lebensqualität erhält und dennoch an der grünen Transformation arbeitet. Zahllose Beispiele zeigen, dass das möglich ist. Vor allem müssen wir erst einmal alle natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wälder und Wiesen unter Schutz stellen. Dann sollten wir alles in den Fokus nehmen, was kurzfristig greift – und nicht erst in fünf Jahren – und was tatsächlich jetzt Energie einspart, z.B. im Verkehr, beim Bau und in der Ernährung. Als nächstes müssen wir die Möglichkeiten regenerativer Energieerzeugung „im Mix“ massiv auf den Weg bringen. Völlig unterbewertet sind zum Beispiel – Stichwort „sonnenreiche Region“ die neuen Lösungen der Gebäudephotovoltaik mit Folien oder Anstrichen und andere Technologien ohne Naturzerstörung – denn die gibt es. Daher müssen wir zurück zu einem lebendigen Austausch ohne Vorbehalte, der das fundierte Wissen zum Thema komplett einschließt und nicht nur das subventionierte Wissen. Dazu sitzen wir hier.
Wir von der Initiative Soonwald plädieren daher erneut für fundiertes Handeln, Augenmaß und vor allem mehr Selbstbewusstsein. Ein Selbstbewusstsein, dass darauf basiert, dass die eigene Region, ihr unverwechselbarer Charakter und die Tradition des heimatlichen Gebietes eine erfolgreiche Alleinstellung garantiert, die wir schützen müssen. Verlieren wir diesen Alleinstellungscharakter verlieren wir Identität und Lebensqualität; wir verlieren unser Herz.
Monika Kirschner