Eine Wanderung mit Hindernissen

Eine Wanderung mit Hindernissen


Wenn ein neuer Naturpark aus der Taufe gehoben werden soll, dann kostet das viel Engagement und Durchhaltevermögen von Menschen in Amt und Ehrenamt. Bei dem ersten Naturparken Deutschlands hat die Zeit von der Idee bis zur Realisierung mindestens zehn Jahre betragen. Heute geht es nicht viel schneller. Auch der Naturpark Soonwald-Nahe hat bereits eine lange Vorgeschichte. Und, wie bei allen guten Ideen, hat auch die Naturpark-Idee viele Väter und in unserem Fall auch eine Mutter. Es begann 1983 in Simmern, als Vertreter der Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück zum ersten Mal die Idee zu einem Naturpark entwickelten. Zehn Jahre später, 1993, erarbeitete Regierungspräsident Gerd Danco mit den Landräten der Kreise Rhein-Hunsrück, Birkenfeld und Bad Kreuznach einen konkreten Vorschlag. Damit fuhren die Naturparkbefürworter 1994 nach Mainz und warben bei der damaligen Ministerin Claudia Martini für ihre Idee. Sie bekamen einen negativen Bescheid. Im Ministerium für Umwelt und Forsten war man damals der Ansicht, es gäbe bereits genug Naturparke in Rheinland-Pfalz. 1999 griff die CDU im nördlichen Soonwald das Thema Naturpark erneut auf. In einer Arbeitsgruppe engagierten sich u.a. Reinhard Klauer, Bürgermeister von Sargenroth, Eberhard Noll von der IHK Simmern und Hansjochen Staege, damaliger Leiter des Forstamtes Entenpfuhl für einen Naturpark Soonwald. Schließlich ist man hartnäckig im Hunsrück. Parallel dazu sprach sich auch die Forstverwaltung auf allen Ebenen ausdrücklich für einen Naturpark Soonwald aus. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingen mag, denn in anderen Regionen Deutschlands ist die Zusammenarbeit zwischen Forstverwaltung, Naturschutz und der Landespflege oft problematisch. Das Jahr 2000 brachte die Wende. Nach vielen Gesprächen der Naturparkbefürworter mit dem Umweltministerium stimmte die Ministerin dem Naturparkprojekt schließlich zu. Claudia Martini argumentierte damals: „Ein Naturpark ist ein gutes Instrument der Landschaftsentwicklung. Der Weg dahin soll parteiübergreifend über die Verwaltung stattfinden – unter Einbeziehung der Bevölkerung.“ Damit war der Startschuß gegeben. Der Weg war frei für die konkrete Arbeit vor Ort.

Am 7.1.1999 fand eine erste Versammlung aller betroffenen Kommunen in Sargenroth statt. Die Landräte der Kreise Bad Kreuznach und des Rhein-Hunsrück-Kreises und der Vorsitzende des Hunsrück-Vereins Gerd Danco setzen sich an die Spitze der Bewegung. Auch verschiedene ehrenamtliche Gruppen und Helfer nahmen sich des Themas an. So gründete die Initiative Soonwald e.V. im Jahre 2000 eine offene Bürgerarbeitsgruppe für alle am Naturpark interessierten Bewohner der Region. Da die Satzung der Initiative Soonwald e.V. eine große Nähe zu den Zielen des Naturparks hat, fühlen sich ihre Mitglieder der Förderung der Naturparkidee besonders verpflichtet. Auch im Rhein-Hunsrück-Kreis entstand eine ehrenamtliche Arbeitsgruppe. 2002 wurde schließlich offiziell das Anhörverfahren zum Erlaß der Landesverordnung eröffnet und der neu eingerichtete Behördenarbeitskreis erweiterte die ursprünglich angedachten Grenzen des Naturparkgebietes im Norden und im Süden erheblich. Am 4.12.2002 trafen sich in der Winterbacher Gemeindehalle die Ortsbürgermeister der Gemeinden beider Landkreise Bad Kreuznach und Rhein-Hunsrück zur Gründung eines Trägervereins. Auf dieser gut besuchten Veranstaltung kam es zu einer Diskussion über den Namen des neuen Naturparks. Viele Gemeinden am südlichen Soonwaldrand, vor allem die Weindörfer, plädierten für eine Erweiterung der ursprünglichen Bezeichnung „Naturpark Soonwald“ um das Wort „Nahe“. Dieser Vorschlag wurde mehrheitlich angenommen und der Trägerverein unter dem Vorsitz von Gerd Danco wurde gegründet.

Was bringt uns der Naturpark?

Die Diskussion um den neuen Naturpark Soonwald-Nahe war von Anfang an von der Frage dominiert: „Was bringt uns dieser Naturpark?“. In Zeiten leerer Kassen wird jede zusätzliche Ausgabe besonders kritisch beäugt, so natürlich auch die Abgaben für den Naturpark. Die verbreitete Skepsis bedeutet daher weniger eine Ablehnung des neuen Naturparks als einen Mangel an Informationen über seine Potentiale. Entsprechend einer Erhebung der Kreisverwaltungen lehnen nur weniger als eine Handvoll von Gemeinden den Naturpark grundsätzlich ab. Ein großer Teil der Kommunen nimmt eine abwartende Haltung ein. Das ähnelt dem Verhalten von Dörfern in anderen Naturparken, die sich später um eine Aufnahme bemüht haben.

Spätstart oder die Chance des Igels

Die Idee, dass ein Naturpark eine gute Sache ist, hatten schon viele Menschen anderer Landschaften vor uns. Zu viele? Immerhin gibt es im Jahr 2003 bereits über 110 Naturparke in Deutschland, und es werden immer mehr. Schon jetzt grenzt ein Naturpark an den nächsten, wie auch bei uns der Naturpark Saar-Hunsrück an unseren neuen Naturpark Soonwald-Nahe. Und auch das Biosphärenreservat Pfälzerwald ist nicht weit. Deutschland ist auf dem besten Wege ein Flickerlteppich von Naturparken zu werden. Inzwischen ziehen die Städte nach und gründen Stadtparks und selbst der ehemals dreckige schwarze „Kohlenpott“ wirbt für sich als neuer „Ruhrpark“. Eine inflationäre Entwicklung, die sicherlich auch damit zu tun hat, dass in Zeiten von Globalisierung, Internet und Fernsehen, die Sehnsucht nach den Wurzeln wieder zugenommen hat.

Doch es gibt nicht nur viele Naturparke; sie haben sich auch sehr verändert. Während bei den ersten Gründungen der Natur- und Landschaftsschutz noch ganz oben an stand, verlagerte sich das Interesse zunehmend auf die Förderung der Umweltbildung. Die Landschaft wurde mit Lehrpfaden „möbliert“, deren unübersehbar pädagogische Absicht nicht lange Besucher fesseln konnte. Die neuen „Naturerlebnispfade sind der nicht immer geglückte Versuch aus alten Fehlern zu lernen. Dann entdeckte man den „sanften“ Tourismus mit „Wellness“-Angeboten zur „Erholung in der Stille“ und mit ihm auch die Nutzung der Naturparke zur Wirtschaftsförderung; besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe. Die jüngsten und – sehr erfolgreichen – Naturparke im Osten haben den nächsten Schritt bereits vollzogen: sie verstehen ihre Naturparke als Motor der Regionalentwicklung, die alle Branchen mit einbezieht. Ehrlicherweise muss man dazu sagen, dass ein Großteil der deutschen Naturparke kaum seinen Namen verdient, denn außer ein paar neuen Schildern und Parkbänken ist nicht viel passiert. Es kommt eben darauf an, was man daraus macht!

In dieser Situation haben wir uns in der Bürgerarbeitsgruppe der Initiative Soonwald gefragt: „Welches sind die besonderen Bedingungen für einen Naturpark in unserer Heimat? Wie können wir unsere Chance nutzen?“

Sind wir alle Hunsrücker? Landschaftsraum ohne „Wir-Gefühl“

Um erst einmal bei den Problemen zu bleiben: Der Naturpark Soonwald-Nahe beschreibt ein Gebiet, das die Menschen, die hier wohnen, bisher nicht als gemeinsame Heimat empfinden. Er ist historisch betrachtet ein künstliches Gebilde. Das zeigt sich schon daran, dass der Hunsrück zwar bis an den Rhein und die Nahe reicht, aber die Menschen in den Flußtälern sich nicht als Hunsrücker sehen. Außerdem wird der Soonwald seit Jahrhunderten eher als eine Grenze empfunden, als als etwas Verbindendes. Die Hunsrücker auf der Hochebene orientieren sich schon immer mehr zu Rhein und Mosel als zur Nahe. Das zeigt sich auch am Weinkonsum: Die Hunsrücker nördlich des Soonwaldes holen ihren Wein normalerweise vom Mittelrhein und von der Mosel – selbst dann, wenn die Nahe „näher“ liegt. Im Gegensatz dazu orientieren sich die Menschen südlich des Soonwalds zur Nahe und trinken Nahewein. Auch manche Mundartmerkmale haben den Soonwald in der Nord-Süd-Richtung nicht überschritten. Die alte „Grenze“ Soonwald spiegelt sich auch in der Infrastruktur. Es gibt nur wenige Strassen von Nord nach Süd und praktisch keine öffentlichen Verkehrsmittel durch den Soonwald. Es ist schier unmöglich sich den neuen Naturpark mit dem Bus zu erobern, von der Bahn ganz abgesehen. Wer wandern will, kann sich nicht auf die Beschilderung verlassen, denn sie folgt im Norden und im Süden verschiedenen Markierungssystemen. Nur der Schinderhannes mit seiner Bande hat den Soonwald als Ganzes zu schätzen gewußt – und genutzt. Er hat dieses Gebiet zu seinem Revier erklärt und dass sogar mit einer eigenen Währung, der Sicherheitskarte “Schinderhannes durch den Wald“ dokumentiert.
So gesehen bewegt sich der neue Naturpark in seiner regionalen Ausdehnung auf den Spuren des Schinderhannes und müsste ihm eigentlich Wegezoll zahlen.

Nicht ohne Stolz: eine Bestandsaufnahme

Doch es gibt nicht nur Hindernisse auf dem Weg zum neuen Naturpark Soonwald Nahe. Und manchmal entpuppen sich die vermeintlichen Nachteile auch als Vorteile. Die nüchterne Bestandsaufnahme der Arbeitsgruppe Naturpark zeigte schnell, dass diese „neue“ Region, mit dem Soonwald im Zentrum, eine erstaunliche Vielfalt von attraktiven Eigenschaften und Schätzen auf kleinen Raum bündelt:
Der Soonwaldraum stellt das größte wenig zersiedelte Waldgebiet in Nähe der Ballungsräume Frankfurt/Mainz/Wiesbaden und Köln/Bonn dar. Er verfügt über die gesundheitlich idealen Mittelgebirgslagen, sehr gute Luftwerte, wenig Regen, einen überdurchschnittlichen Laubwaldanteil und große Kernzonen der Ruhe ohne jede Zivilisationsgeräusche außer dem Flugverkehr. Soonwald und Nahe bieten vielfältige „gesunde“ naturheilkundliche Angebote unter Nutzung der Elemente Wasser, Erde und Luft. Die Solebäder in Bad Kreuznach und Bad Münster, die Lehmanwendungen in Bad Sobernheim und die gute Luft im Soonwald und „auf dem Hunsrück“.

Doch das ist nicht alles. Der  Naturpark hat noch andere Stärken:

  • eine einmalige Pflanzen- und Tierwelt, eine hohe Biodiversität, z. B. die Trockenflora auf dem Vulkangestein an der Nahe
  • bizarre Felsformationen aus Quarzit, z. B. Teufelsfels
  • eine Weinbauregion der Spitzenklasse, z. B. die Rieslinge
  • überregional bedeutende Plätze für Geologie und Paläontologie, z. B. exzellent erhaltene Fossilien des Devon
  • Fundstätten der Kelten, Germanen, Römern und Ritter, z. B. die Altburg als rekonstruierte Keltenanlage
  • eine extreme Dichte von Burgruinen und Schlössern, z. B. das Schloss Gemünden
  • Römerstrassen, z. B. die Ausoniusstrasse
  • historische Bergwerke und Eisenhütten, z. B. Gräfenbacherhütte
  • besondere Kirchen, Wallfahrtsorte und Orgeln, z. B. der Hunsrückdom in Ravengiersburg
  • aktives traditionelles Handwerk, z. B. die Handwerkergruppe in Hennweiler
  • bedeutende Orte der Forst- und Jagdgeschichte, z. B. das Denkmal Jäger aus Kurpfalz
  • herausragende lokale Literatur und Mundart, z. B. Peter Josef Rottmann
  • Orte der Filmgeschichte, z. B. die Heimat der „Heimat“
    (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Mit den Augen der Gäste

Die lange Zeit der militärischen Nutzung unserer Heimat hat zwar Entwicklungen unterbrochen, aber auch dazu beigetragen, dass viele Fehler erst gar nicht gemacht wurden, wie zum Beispiel eine Zersiedlung durch übermäßige Bautätigkeit. Daher bietet der Naturpark Soonwald-Nahe Abenteuer jenseits ausgetrampelter Touristenpfade. Ursprünglichkeit und „Wildnis“ des Soonwaldes und der Nahe-Vulkanlandschaft treffen das große Bedürfnis nach „echter“ Naturerfahrung. Je gründlicher die Menschen in den Ballungsräumen die Wildnis zurückgedrängt haben, desto dringender suchen sie sie wieder. Gefragt ist Einsamkeit, belebt von Fuchs und Reh, von Orchideenwiesen und Kuckucksruf, klare Bäche, Moosmatten, Käferkrabbeln auf dem Mädesuß – und Stille! Noch findet man eine Ruhe, die innehalten läßt und eine Waldluft, die man am liebsten einpacken und mitnehmen möchte. „Bade deine Seele in Schweigen“ riet der indische Philosoph Rabindranath schon vor mehr als 50 Jahren. Laut einer neuen Studie fühlen sich nur 5% der Deutschen nicht durch Lärm belästigt. Ohren kann man nicht so einfach zuklappen wie die Augen, deshalb sehnen sich immer mehr Menschen nach Räumen der Stille. Das alles haben wir hier – auch ohne große „Erschließungskosten“. Dazu eine Landschaft, die – Gott sie Dank – noch Fragen offenläßt. An vielen Orten und Plätzen läßt sich das flatterhafte Band der Erinnerung aufgreifen. Farnbewachsene altersgraue Steingiganten bewahren dunkle Geheimnisse und Schieferbrocken erzählen vom tropischen Meer. Bizarre Burgruinen protzen mit der kraftvollen Präsens des Mittelalters und schaffen tief im Wald faszinierende Erinnerungsräume. Seltsame Sagengestalten bevölkern den Soonwald, man muss sie nur wieder zum Sprechen bringen, so wie es mit den unheimlichen Geschichten von Streit, Raub und Mord des Schinderhannes bereits geschehen ist. Unsere Landschaft ist voller Gedächtnisorte; die sich zu einem großartigem Panorama des Geheimnisvollen – jenseits von Esoterik – zusammenfügen. Rätselhafte unterirdische Stollen und Höhlen, Gräber, uralte Gemäuer, verblasste Fresken in tausend Jahre alten Kirchen, verschwundene Dörfer und Wüstungen. Der Naturpark Soonwald Nahe ist eine schlummernde Erinnerungslandschaft, die darauf wartet wachgeküßt zu werden.

Wir haben wir einiges zu bieten, was andere Regionen nicht haben – oder bereits verloren haben. In der Begegnung mit den Gästen liegt die Chance zu verstehen, was Heimat wirklich heißen kann: zu Hause sein, ein historisches Bewußtsein haben und Vertrauen in die Zukunft. Vielleicht werden wir irgendwann einmal mit Stolz sagen werden: „Das ist unser Naturpark Soonwald-Nahe!“.

* Dieser Aufsatz wurde auf dem Hintergrund der Erfahrungen in dem Bürgerarbeitskreis „Naturpark“ der Initiative Soonwald e.V. geschrieben.