Die Anfänge des Soonwaldtourismus

Die Anfänge des Soonwaldtourismus …

Es ist noch nicht lange her, da besuchten dieses vergessene Waldgebiet im Westen Deutschlands prominente und begüterte Gäste: Namen, die jeder kennt, wie zum Beispiel Kaiser Wilhelm II, Bundespräsident Prof. Theodor Heuss, Werner Beumelburg, Bestsellerautor und sein Bruder, Intendant in Berlin, Wernher von Braun, Eugen Gerstenmeier, Dr. Wilhelm Boden, der erste Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, und viele andere mehr. Sie kamen mit eigenem Chauffeur, Cabrios oder Cabriobussen, Kindermädchen oder sogar mit eigenen Dienstboten. Ihr Ziel: die kleine Curcolonie Waldfriede im Soonwald.

Auch die Einheimischen schätzen die Adresse im Wald; für sie war Waldfriede über ein halbes Jahrhundert lang die besondere Adresse für „gehobene Ansprüche“. Soweit wir wissen, beginnt die Geschichte des Soonwaldtourismus mit dem kleinen Kurort Waldfriede am südlichen Soonwaldrand Ende der achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts. Damals war der Soonwald ein für Erholungsreisen völlig unerschlossenes Gebiet und außer für die Forstwirtschaft ein weißer Fleck auf der Landkarte. Davon zeugt auch diese Meldung aus der Kirner Zeitung im Jahre 1892:

„Stromberg, 11. Juli. Die Section Mainz des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins unternahm gestern mit etwa 75 Theilnehmern einen Ausflug nach unserm Soonwalde, der für Mainz bis dahin „terra incognita“ war.“

Mit „terra incognita“ ist nicht etwa ein entlegener Landstrich in der Fremde gemeint, sondern das größte zusammenhängende Waldgebiet in der Nähe von Mainz, keine 60 Kilometer von der Stadt entfernt. Die im folgenden beschriebenen Ereignisse werden zeigen, daß die Entdeckung der Soonwaldhöhen ganz und gar nicht zufällig in das Jahr 1892 fällt.

Wie alles begann: die „Curcolonie Waldfriede“

An der Geschichte der kleinen Siedlung Waldfriede bei Seesbach läßt sich die touristische Eroberung des Soonwaldes exemplarisch ablesen. Sie beginnt irgendwann Ende der achtziger Jahre. Der Name „Waldfriede“ ist noch nicht erfunden und der heute so genannte Ortsteil gehörte noch zur Bürgermeisterei Monzingen. 1890 findet sich in der Kirner Zeitung der erste Hinweis auf einen „Luftcur“ Ort bei Seesbach:

„Luftcur=Ort Seesbach (Kreis Kreuznach). Heute, den 17. September 1890 wurde von dem Königlichen Notar in Sobernheim der Vertrag zwischen den Verkäufern und Käufern des Luftcurortes bei Seesbach, Bürgermeisterei Monzingen, gefertigt. Das Curhaus in der Waldeshöhe ca. ¼ Stunde von Seesbach entfernt, ist fertig gebaut und bereits diesen Sommer von Curbedürftigen besucht und bewohnt worden. Kreuznach gewinnt hierdurch also den Vortheil, daß es nicht nur seine heilsamen Bäder, sondern auch einen Luftcurort in nächster Nähe besitzt, was den guten Ruf nur erhöhen kann, um so mehr, wenn dieser Vorzug durch unsere Aerzte und entsprechende Zeitungsnotizen möglichst Weiterverbreitung und Mittheilung erfährt.“

Der Käufer war Karl-Edmund Vogler. Schon 1891 beginnt der Kurbetrieb im Wald.

„Seesbach, 27. Mai. 1891  Mit Beginn dieser Woche sind die ersten Gäste in das von Herrn Vogler aus Monzingen hier erbaute Kurhaus eingezogen. Wie man erfährt, ist die beste Aussicht auf einen starken Besuch vorhanden. Möge Allen, die unsere Berges= und Waldluft genießen, dieselbe wohl bekommen.“

Ein mutiger Entschluß! Die Familie Vogler gründete mitten im Wald, an einem einsamen Ort, zu dem damals nichts weiter als ein einfacher Feldweg führte, einen neuen „Luftcur-Ort“. Es gab weder eine Postkutsche, geschweige denn andere öffentliche Verkehrsmittel, die zu diesem Platz im Wald führten. Der neue „Luftcur-Ort“ war nur zu Fuß, zu Pferde oder mit einem kleinen Fuhrwerk erreichbar. Schon die Gründung eines einfachen Gasthauses an diesem Platz wäre ein wagemutiges Unterfangen gewesen; erst recht der Plan gleich einen neuen „Luft-Curort“ zu erbauen! Man fragt sich nach den Motiven der Gründer des neuen Kurortes. Die Anwort liegt ein paar Kilometer weiter im Nahetal. Dort erlebte Kreuznach seit 1850 seinen Aufstieg zu einem Luxusbad des europäischen Adels. Es ist leicht vorstellbar, daß die rasante Veränderung von Kreuznach zu einer Luxuswelt der Reichen und Adeligen die Familie Vogler beeindruckte; vielleicht ist ihnen zu Ohren gekommen, daß die Kurgäste das Baden in den salzhaltigen Quellen schätzten; aber über das „müde Klima“ der Tallage von Kreuznach nicht immer so glücklich waren. Man las in den Bade-Zeitungen auffällig oft von höhergelegenen Luftkurorten mit dem Hinweis „eigener Waldpark, ohne lästige Schwüle“. Die Kombination vom gesunden Baden und guter Luft erschien schon damals als ideale Verbindung. Einem gutem Beobachter der Szene mußte demnach der Soonwald mit seinen kühlen sauerstoffreichen Höhenlagen als ideales Ausflugsziel für die Kurgäste erscheinen. Aus dieser Sicht ist es nicht mehr so unwahrscheinlich, auch an eine eigenständige „Curcolonie“ im Wald zu denken, deren Stärke die „gute Luft“ war. Die „Gute Luft“ erfreut sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts eines exzellenten Rufs, denn frische Luft, Ruhe, gutes Essen und Hygiene galten damals als einzig wirkungsvolle Therapie gegen die Tuberkuloseepidemie, die sich in den neuen Großstädten ausbreitete. Heute, im Sommer 2004 erweisen sich die Überlegungen des Jahres 1890 von überraschender Aktualität. Auch das Konzept des neuen „Naturpark Soonwald-Nahe“, stellt einen Versuch dar, die Bäder an der Nahe und den Soonwald touristisch zu koppeln.

Schon die ersten Berichte aus Waldfriede loben neben dem Naturerlebnis immer wieder die gute Küche. Die Kombination von viel Bewegung und gutem Essen sollte sich in der Zukunft von Waldfriede noch zu einem Erfolgsrezept entwickeln. Die Texte belegen, daß es in Waldfriede „um das gute Leben“ und um ein naturnahes sich „Wohlfühlen“ ging.

Tourismusförderung im 19. Jahrhundert

Ein Schwerpunkt im Leben der winzigen Curcolonie waren die Konzerte. Sie dienten von Anfang an nicht nur der kulturellen Erbauung sondern auch der finanziellen Unterstützung eines weiteren ehrgeizigen Projektes den Soonwald touristisch zu erschließen: dem Bau eines Aussichtsturms auf der Soonwaldhöhe „Altenburg“.

Die neunziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts haben es in sich. Noch eine weitere Pionierleistung sollte zur Kolonisierung des „Milden Westens“ und der Wälder beitragen. Ab 1893 wurden vom Kreis Kreuznach Ideen diskutiert, mit einer Kleinbahn in den Soonwald vorzudringen. „Möge die Kleinbahn den wirtschaftlichen Aufschwung dem Gebiete bringen“, heißt es im Kleinbahn-Führer von Hermann Stumpf. Damit war in erster Linie der Frachtverkehr von Soonwaldholz und Bruchsteinen gemeint. Doch es geht auch um das schnelle und bequeme Reisen.

„Zu Fuße reisen fällt oft schwer,
drum freut sich unser Bähnchen sehr.
Dank allen, die dies Werk vollbracht,
Gott halte treulich drüber Wacht.
Es bringt dem Landmann und dem Handel
Wohlstand und Segen ohne Wandel!“

So dichtet ein ungenannter Mitarbeiter im Oeffentliche Anzeiger von Kreuznach 1896. Die Bahn belebte von Anfang an den Soonwald-Tourismus. Sie erleichtere speziell den Kreuznacher Kurgästen den bislang beschwerlichen Weg in die nahen Waldgebiete.

Vorbildliches Marketing Anfang des letzen Jahrhunderts

In der frühen Werbung für die Curcolonie wird immer wieder auf die „nerven=stärkende Waldluft“ hingewiesen. Nervosität bedeutete in jenen Jahren geradezu eine Modekrankheit der Städter, deren belastende Lebensumstände sie „nervös“ machten. Eine Werbung mit der Formulierung „nerven=stärkende Waldluft“ nutzte diese Entwicklung geschickt aus.

1903 verkauft der Besitzer Ernst Karl Edmund Vogler den Luftkurort Waldfriede für 20 000 Mark an Hermann Müller aus Wiesbaden. Dieser ehrgeizige Geschäftsmann ordnet fortan sein ganzes Leben und das seiner zukünftigen Familie dem Erfolg des Kurhotels unterSein großer Einsatz sollte ihm bis in die Nachkriegsjahre Recht geben. Noch heute kann man in Waldfriede das Kurhaus und die Villen der Stammgäste besichtigen. Alle Häuser sind heute privat bewohnt. Den nahen Flugplatz Pferdsfeld hat die erfolgreiche Curcolonie nicht verkraftet. Heute wartet sie auf neue mutige Geschäftsmänner wie Karl-Edmund Vogler oder Hermann Müller. Die Zeichen der Zeit sind vergleichbar.